Gipfel künstlerischer Qualität und Intensität

Felix Mendelssohn Bartholdy: Elias op. 70
03.04.2005, St.-Nikolai-Kirche Rostock

Heinz-Jürgen Staszak, Norddeutsche Neueste Nachrichten
05.04.2005

Elias-Aufführung in Rostock mit Thomas Quasthoff

Seit fast zwei Jahrzehnten war es in Rostock nicht mehr zu hören gewesen, das romantische Großoratorium „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Und dann plötzlich entsteht so etwas wie eine „Eliasleiter“: im Oktober 2000 eine Aufführung der Warnemünder Kantorei, im November 2002 eine des Figuralchors der St.-Johannis-Kantorei und jetzt, am Sonntagnachmittag in der Nikolaikirche, wiederum eine Aufführung der St.-Johannis-Kantorei unter Markus Johannes Langer.

Dabei war die letzte Sprosse dieser Leiter in künstlerischer Qualität und Intensität zweifellos ein Gipfelpunkt.
Dies lag zuallererst, aber längst nicht allein, daran, dass es Markus Johannes Langer gelungen war, Thomas Quasthoff, Deutschlands besten Konzertbariton (nach einer Mitwirkung im Weihnachtsoratorium 2002), erneut für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Dennoch war es längst kein Starauftritt, der die anderen Mitwirkenden zur bloßen Folie machte. Im Gegenteil, Quasthoffs bewegende Gesangskunst wurde hier zum Zentrum, von dem aus sich eine eindringliche Ensembleleistung entfaltete, von solcher Überzeugungskraft, dass das Publikum seinen begeisterten Beifall schon in der Pause nicht zurück halten wollte.
So war diese Aufführung nicht einfach nur die Wiederholung der vom November 2002 auf höherem technisch-musikalischen Niveau; sie ließ in ihrer Gesamtgestaltung durch Langer neue geistige Horizonte aufleuchten. Quasthoff gestaltete die Elias-Partie nicht allein mit dem erzenen Glockenton des alttestamentarischen Glaubenszeugen, nicht allein mit der zwingenden Innigkeit des Betenden, sondern er führte mit frappierendem Nuancenreichtum zugleich das persönliche Drama des eifervollen Propheten vor, gipfelnd in der Arie „Ich habe genug“, in der er für den individuellen Ausdruck der Vergeblichkeit und des Ungenügens geradezu herzstockende Töne ergebener Demut fand.
Vielleicht war es dies, die psychologische Wahrhaftigkeit, die auf das Ganze ausstrahlte und die die nicht immer aufgelösten Gegensätze der Komposition zwischen oratorischer Strenge und melodienseliger romantischer Glaubenssehnsucht hier in eine Balance brachte, in der sie nicht mehr nur gegeneinander wirkten.
So auch in der Partie der Sopranistin Gerlinde Sämann, die wir in Rostock schon wahrlich mit guten Leistungen hören konnten, die aber hier das bisher Gehörte mit fesselnder und berührender Intensität und Differenzierung überbot, besonders in ihren kontrastierenden Arien am Beginn des zweiten Teiles. Ebenso aber auch die polnische Altistin Bogna Bartosz, maßvoll und gerade darum eindrücklich und charakteristisch in ihren gegensätzlichen Partien als Königin und Engel. Und so auch der Wiener Tenor Ferdinand von Bothmer, dessen noch ganz leicht opernhafte Deklamation hier nur eine zusätzlich belebende, geradezu blühende Facette schuf.
Dies bettete sich ein in eine ebenso überzeugende Leistung des Chores, zusammengefügt aus Figural- und Motettenchor, und des Kantatenorchesters unter dem Dirigat von Markus Johannes Langer. Auch hier die in wohldisponierten Höhepunkten voranschreitende Balance von dramatischer Wucht und inniger Intimität.
Dies war, in seiner Verknüpfung von musikalischem Glanz und anrührender Wirkung, ein künstlerisches Ereignis für Rostock von erinnerungswürdiger Seltenheit.