Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion BWV 244
19.02.2006, Heiligen-Geist-Kirche Rostock
Michael Baumgartl, Ostsee-Zeitung
21.02.2006
Es fehlt dem Rostocker Motettenchor nicht an Renommee, um eine große Kirche zu füllen. Doch die solistische Mitwirkung von Thomas Quasthoff macht in Rostock eine Aufführung der Bach’schen Matthäus-Passion zum Ereignis von ganz besonderem Rang. Quasthoff, dessen CD-Einspielung mit Bachkantaten gerade den Amadeus Award und den Grammy Award als beste Klassik-Vokal-Aufnahme bekam, wurde 1977 trotz außerordentlicher Begabung von der Musikhochschule Hannover das Studium verweigert, weil er mit seinen verkrüppelten Händen nicht wie vorgeschrieben Klavier spielen konnte. Heute gilt er weltweit als einer der besten Sänger unter den hohen Bassisten.
Der Motettenchor hatte ihn unter dem Dirigat seines Leiters Markus Johannes Langer zum dritten Mal als Solist zu Gast. Aus den ersten Kontakten ist eine Art musikalischer Freundschaft geworden, so dass man sich auch weiterhin auf Konzerte mit Quasthoff in Rostock freuen kann. Die Passions-Aufführung am Sonntag in der ausverkauften Rostocker Heilig-Geist-Kirche geriet zum großartigen musikalischen Erlebnis.
Markus Johannes Langer setzte nur ein Mindestmaß an Dirigierbewegung ein, doch ging davon eine derartige Imagination aus, dass die aus verschiedenen Orchestern zusammengesuchten Musiker zu einem durch die Partitur vorgeschriebenem Doppelorchester von hoher Präzision und Intensität verschmolzen.
Zwar wurde auf modernen Instrumenten musiziert, was einen teils forcierten, teils romantisch fülligen Klang evozierte, der die schlanken Solostimmen in tiefen Registern leicht überdeckte. Doch das stark gestisch geprägte Spiel glich diesen kleinen Makel wieder aus.
Den Motettenchor brachte Langer zu enormer Ausdruckskraft. Der Chor sang mit klarer Deklamation, sicherer Intonation und mit intensivem Klang. In den dramaturgisch und rhythmisch spannend geformten Ablauf des dreistündigen Werkes passte Langer die Choräle als dramatische Angelpunkte ein.
Wegen der Erkrankung eines Sängers hatte Thomas Quasthoff kurzfristig neben den Bass-Arien auch die Partie des Jesus übernommen. So setzte der Sänger in den Dialogen zwischen Jesus und Judas sowie zwischen Jesus und Petrus brillante dramatische Höhepunkte, indem er jeder Person eine eigene stimmlich differenzierte Rolle zuwies.
Der Tenor Henning Kaiser machte mit der Partie des Evangelisten einen leicht überforderten Eindruck. In bester dramatischer Gestaltungsabsicht sang sich die Stimme mit eigentlich schönem schmalen Timbre fest und verlor die sichere Führung, was sich in den lyrischen Abschnitten aber wieder zu schöner Linearität löste.
Die schwedische Sopranistin Malin Hartelius konnte ihr helles Timbre vor allem im hohen Register entfalten, während die Altistin Britta Schwarz ihre reichen Erfahrungen mit barocker Gestaltung in sehr dynamischem Klang einbrachte.
Mit dieser Aufführung am Sonntag Sexagesimae, sechzig Tage vor Ostern, erklang die Passion sehr früh im Kirchenjahr. Doch wird der tiefe und nachhaltige Eindruck sehr wohl anhalten bis zum Karfreitag, dessen Geschehen sie schildert.