„Weicht, ihr Trauergeister, denn mein Freudenmeister Jesus tritt herein.
Denen, die Gott lieben, muß auch ihr Betrüben lauter Zucker sein.
Duld’ ich schon hier Spott und Hohn, dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu, meine Freude.“
(Originaltext der letzten Strophe des Chorals „Jesus, meine Freude“, wie ihn J.S.Bach in der gleichnamigen Motette als Schlusssatz verwendet hat.)
In den frühen Morgenstunden des 4. Februar 2025 ist Kirchenmusikdirektor Prof. Hartwig Eschenburg im Alter von 91 Jahren heimgerufen worden. In den letzten Wochen immer schwächer geworden, durfte er im Frieden gehen. An seinem Kranken- und Sterbelager haben seine vier Kinder und Angehörige noch oft gesungen und musiziert.
Hartwig Eschenburg stammt aus Warnemünde. Sein Vater war Karl Eschenburg, ein bekannter Fotograf. Durch das Erleben der Kirchenmusik in Warnemünde ist in Hartwig Eschenburg früh der Wunsch gewachsen, selber Kirchenmusiker zu werden. Er studiert evangelische Kirchenmusik in Halle / Saale und schloß 1957 mit dem A-Examen ab.
Zunächst war er dann Kantor und Organist an der Stiftskirche in Bützow. 1960 wurde er Kirchenmusiker der St. Johanniskirche in Rostock. Dort gedieh unter seinen Händen aus bescheidenen Anfängen eine umfangreiche kirchenmusikalische Arbeit mit dem Schwerpunkt bei den Chören. So wurde aus einer kleinen Kurrende eine mit etwa 70 Kindern. Aus dem Kirchenchor wurde der Figuralchor, vorrangig für große Oratorienaufführungen, mit etwa 120 Sängerinnen und Sängern. Aus dem Choralchor, von Eschenburg für das sonntägliche Singen im Gottesdienst ins Leben gerufen, wurde eine große Jugendkantorei mit etwa 90 Mitwirkenden. Es gab außerdem einen Kreis „Offenes Singen für ehemalige Chormitglieder und andere Sangesfreudige“. 1964 gründete Eschenburg den Rostocker Motettenchor, ein übergemeindliches Ensemble für besonders anspruchsvolle Kirchenmusik. Der Motettenchor wurde bald über die Grenzen Mecklenburgs hinaus bekannt. Er sang an renommierten Orten wie der Thomaskirche in Leipzig, der Dresdner Kreuzkirche, dem Berliner Schauspielhaus und unternahm auch Konzertreisen in die weite Welt, so 1995 an die Westküste der USA zum Oregon-Bach-Festival mit einer Aufführung des „War-Requiems“ von Benjamin Britten in internationaler Besetzung. – Für die zahlreichen Aufführungen seiner Chöre, bei denen Orchester gebraucht wurden, entstand 1983 das „Kantatenorchester St. Johannes“ aus Berliner Musikstudenten, zu denen auch Musik studierende Kinder von Eschenburg gehörten.
Schwerpunkt der Arbeit Eschenburgs war die Kirchenmusik in Rostock und in Mecklenburg. Umfangreiche Probenarbeit, Singen und Musizieren im Gottesdienst, Konzerte in vielen Kirchen standen im Zentrum seines Wirkens. Viele erinnern sich an beeindruckende Aufführungen, angefangen von Werken des Barock (Schütz, Bach u.a.) bis hin zu Kompositionen der Gegenwart (Hessenberg, Nystedt, Kodaly u.a.m.). Die jährliche Singwanderung des Choralchores fand ein begeistertes Publikum und veranlaßte zu DDR-Zeiten die Behörden zu Mißtrauen und erhöhter Wachsamkeit. Zu einem Höhepunkt wurde auch immer wieder die Aufführung der Weihnachtsgeschichte von Carl Orff, zu der Eschenburg die plattdeutsche Fassung geschrieben hatte. Die Einstudierung dieses Werkes mit Kindern und Jugendlichen bereitete ihm jedes Mal besondere Freude.
Eschenburg war Kulturpreisträger der Hansestadt Rostock und des Landes Mecklenburg-Vorpommern. 1998 wurde ihm das Verdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland verliehen. 2020 erhielt er den Siemerling-Sozialpreis. Er war 1987 – 2002 Mitglied des Direktoriums der Neuen Bachgesellschaft und wurde später deren Ehrenmitglied.
Im Jahr 2000 trat Hartwig Eschenburg in den Ruhestand. Er wirkte noch bis 2017 als Honorarprofessor für Chorleitung und Oratorieninterpretation an der Hochschule für Musik und Theater Rostock.
Vielen Menschen, besonders heranwachsenden, ist Hartwig Eschenburg Begleiter auf dem Lebensweg geworden. Seine Probenarbeit hatte auch eine sehr dem einzelnen zugewandte Seite. In den Proben verband er Hinweise zur Interpretation der Musik oft mit Glaubens- und Lebensfragen. Singen und Musizieren waren für ihn in erster Linie Ausdruck von Dankbarkeit und von Anbetung. Nach einem Konzert mit Weihnachtschorälen 1999 schrieb er: „Gerade die schlichte Musik ist es oft, die unser Inneres zum Klingen bringt. … Ehrfurcht, Demut und Liebe sprechen aus den Weihnachtsliedern – Dimensionen des Menschlichen, die im rasanten Fortschritt materiell bestimmten Lebens nur zu leicht zu verkümmern drohen.“
Andreas Flade