Mehr als 500 Besucher besuchten das Konzert der Festspiele MV in der Rostocker Nikolaikirche
„Ein Gipfeltreffen des Gesangs“, so hatte Ursula Haselböck, die Intendantin der Festspiele MV, ins Konzert am Mittwoch in Rostock eingeführt. Und damit ist das sogar ein Gipfeltreffen der Musik überhaupt, möchte man hinzufügen, nachdem dort zu hören war, dass es allem virtuosen Erfindungsreichtum der Musikgeschichte zum Trotz kein großartigeres Instrument gibt als die menschliche Stimme. Geistliche Gesänge wurden geboten. Den Gipfel des A-cappella-Gesangs bildeten das Leipziger Weltklasse-Herrenquintett amarcord, der hervorragende Rostocker Motettenchor unter seinem Leiter Markus Johannes Langer und die Solistinnen Susanne Langner und Angelika Lenter. Mehr als 500 Besucher füllten die Nikolaikirche, völlig gegen den Trend der jüngst gemeldeten Statistiken über Kirchenfluchten in Rekordhöhe. Dieser Aderlass der Glaubensverwaltungs-Institutionen kann ja auch eine Befreiung des Heiligen Geistes sein, dessen Wege bekanntlich unergründlich sind und der seit Jahrhunderten nachhaltig in Texten, Bildern und eben Musik der Kulturgeschichte eingeschrieben ist. Sehr direkt war das in diesem Konzert zu erleben, das neben dem eindrücklichen Zusammenklang zwischen Gesang und Kirchenraum einen interessanten Einblick in die Geschichte des Genres Motette bot. Die seit dem Mittelalter entstandene Kompositionsform ist ein mehrstimmiger Gesang, dessen Strukturen weit komplexer als im einfachen Lied einer Dramaturgie folgen und dabei sehr lebendige, höchst dramatische, aber auch ruhige meditative Klangerlebnisse schaffen.
Das Programm beginnt und endet mit Felix Mendelssohn Bartholdy. Dazwischen sind Kompositionen von Peter Cornelius, Anton Bruckner, Francis Poulenc sowie Louis Spohr und Gioachino Rossini zu hören. Sie zeigen unterschiedliche Weisen, das Verhältnis des Menschen zu Gott und der Welt zu befragen: zwischen Trauer, Verzweiflung, Hoffnung und Vertrauen. Und Demut. Das ist jene ausgeglichene Gestimmtheit, die hier weniger durch Argumentationen der religiösen Texte, vielmehr durch die vollendete Klangkultur der Gesänge vermittelt wird: Hellwache Demut als besonderes Gefühl von Geborgenheit. Ein Konzert, das für manche Gottesdienst, für andere erlebte Menschlichkeit bedeuten mag. Wunderschön.
Dietrich Pätzold (Ostsee-Zeitung)
Foto: Jennus